LUZIFER
Wer könnte mehr über die Wörter wissen
als ich – das Wesen, das sie schuf
und auf die Zunge jenes Judengottes stellte.
Doch es gibt Wörter, von denen niemand etwas weiß;
sie haben keinen Sinn, und niemand kann sie
in einer Enzyklopädie finden,
in einem Wörterbuch –
als ob es sie nicht gäbe,
doch sie schlagen stark wie Donner,
leuchten wie des Himmels Blitze auf –
und hier halte ich, da sie
mit Wörtern nicht beschrieben werden können.
Wenn sich die Abgründe des Zwielichts öffnen,
rettet das Bekannte uns nicht
vor dem Schwindel, vor dem Gefühl des Fallens
und des Wendens.
So bin ich auch oft gefallen –
von Schaukeln, von Flugzeugen,
vom Rand der Hölle,
von des Kreises Durchmesser,
von Planetenbahnen,
von der Vogelperspektive,
von Kathedralengipfeln,
von Pyramidenhöhen,
von der Geheimgeometrie,
von gleichschenkligen Dreiecken,
von Loten,
doch nichts erinnerte an es –
das Große Fallen war
mit nichts vergleichbar.
Ich weiß – die Rätsel dringen ein
durch die Türen der Ekstasen,
Beschwörungen, Gebete, Zeichen,
Meditationen –
ich öffnete sie auch einst, eine nach der anderen –
nach ihnen war das Zimmer immer leer,
doch ich hatte Freiheit,
es mit was ich will zu füllen.
Doch die Jenseitswelt –
sie war so übervoll,
sie sang, sie läutete und donnerte,
gottgleich dehnte sie sich
nach allen Durchmessern der Schöpfung aus.
Würde ich mich nur zusammenrücken,
sagte ich mir –
in jenem körperlosen Alles
würde ich des Wissens Feuer stehlen
und es meinen mit Schafsfellen bekleideten
Mitbrüdern wiedergeben...
Doch, wer das Feuer einem Tier gibt,
so gibt er einen Anstoß seiner Hand
und nicht der innerlichen Sinne;
er entwickelt das Menschliche in ihm
und nicht das Göttliche.
Selbst wenn ein Vogel seine Leber später picken würde,
gesät ist schon des Bösen Samen,
des gleichgültigen Verstandes,
der Haß von Liebe
und Licht von Dunkelheit nicht unterscheidet...
Ich streckte meinen Kopf und blickte heimlich
auf mein geheimnisvolles Heimatland – das Licht.
Oh, vergehe dieser Taumel ein wenig,
dieses Schaudern und diese Unempfindlichkeit der Sinne –
wenn ich mich erneut daran gewöhne, dich zu sehen,
Welt kühler Feuer und Autogenschweißblau!
Ich spreche heimlich deinen Namen aus
und der Spalt des Himmels öffnet sich vor mir;
dein Glanzgras kommt mir still entgegen,
der Baum der Erkenntnis starrt mich anerkennend an –
an den Zweigen hängen Kristalläpfel
und Engel in Schafsfellen begrüßen mich warmherzig.
Du bist, du bist mein verlorenes Arkadien!
Ich ziehe meine Schlangenhaut aus
und sinke in den mir verbotenen Urgarten ein,
den ich wegen einer trügerischen Frucht verließ,
um ihn erst nach der Götterdämmerung
wiederzufinden.
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